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AmCham Talks Special
USA müssen Verhältnis zu Europa neu definieren: AmCham Austria diskutiert die US-Wahl
Freitagfrüh diskutiert die US-Handelskammer mit NZZ-Politikexperte Christoph Prantner, Umdasch-CEO Andreas Ludwig und Jurist Christian Dorda die spannendste Wahl des Jahres.
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Wien (LCG) – Donald Trump und die hohe Zahl der Briefwähler machen es möglich, dass auch Freitagfrüh der Ausgang der US-Wahl in den 50 Sternen der Flagge steht. Entgegen aller Beweise spricht der amtierende Präsident bereits jetzt von Wahlbetrug. Statt im Kaffeesud das mögliche Wahlergebnis zu lesen, beschäftigen sich USA-Experten beim Business Breakfast der American Chamber of Commerce in Austria auf Einladung von Präsident Martin Winkler (Oracle) mit der wirtschaftlichen Zukunft. Ganz gleich, wer das Rennen macht: Das Verhältnis zu Europa ist schon seit der Präsidentschaft von Barack Obama aus dem Ruder gelaufen und muss auf neue Beine gestellt werden.
Amerikafeindlichkeit ist im selbstgerechten Europa weit verbreitet
Christoph Prantner, politischer Korrespondent der Neuen Zürcher Tageszeitung in Berlin, beobachtet, dass die USA so politisiert und gespalten wie noch nie sind und sich die Lage in den letzten Tagen weiter zuspitzt. Die Situation erinnert an die 1960er-Jahre, als der Staat nach Unruhen durch die Civil-Rights-Bewegung unter Präsident Lyndon B. Johnson wieder über viele Jahre geeint werden musste. Der Politinsider sieht Joe Biden knapp im Vorteil, obwohl er „der allerkleinste gemeinsame Nenner“ im demokratischen Lager ist. Von einer Staatskrise seien die Staaten trotz Trumps Kritik an der Wahl weit entfernt.
„Unter Trump ist die positive Energie geschwunden. Der amerikanische Traum wurde beiseitegelegt und es fehlt die große Vision für die Zukunft“, fasst Prantner die Entwicklung der letzten Jahre zusammen. „Amerika ist so verzagt, wie schon lange nicht mehr. Der nächste Präsident wird mit dieser Stimmung zu kämpfen haben.“
Prantner prognostiziert, dass die Vereinigten Staaten sich auch in Zukunft sehr auf sich selbst konzentrieren werden. Europa wird sich mehr um seine Angelegenheiten wie Sicherheit und Wirtschaft kümmern müssen.
Trumps Erfolge
Jurist Christian Dorda kann zwar der üblichen U.S.-Wahlkampfrhetorik eine „erfrischende Cowboymentalität“ abgewinnen, aber ist zugleich einigermaßen empört über die Attitüde des amtierenden Präsidenten und dessen unbelegten, noch dazu vom Weissen Haus aus verkündeten Wahlfälschungs-Behauptungen. Trumps größtes Versagen sieht er im Umgang mit Covid-19 und der Zerstörung von Werten. Man müsse ihm aber auch Erfolge für das Wirtschaftswachstum durch die Steuerreform, die abnehmende Arbeitslosigkeit und die Deregulierung zugestehen. Trump hat seine Ankündigungen (“promises made / promises kept”) punkto Außenhandel durchgezogen und Handelsabkommen auf Eis gelegt oder “gesprengt”. Auch gingen die Immigrationszahlen nach unten. Außenpolitisch habe er dem Juristen zufolge in den Gesprächen mit Nordkorea und dem Iran nichts weitergebracht, während er im Verhältnis Israels zu den arabischen Staaten Beachtliches bewegte.
„Der Trumpismus schädigt das politische Wertesystem auch in Europa und unterstützt autoritäre Einstellungen, die das chinesische Modell fördern“, befürchtet Dorda.
Trump ist das Ergebnis der Finanzkrise
Umdasch-Group-CEO Andreas Ludwig sieht Trump nicht als Verursacher, sondern als Ergebnis einer Gesellschaft, die seit der großen Finanzkrise in Gewinner und Verlierer gespalten ist. Die technologische Entwicklung hat Old und New Economy aus dem Gleichgewicht gebracht. Digitalisierung ist ein Thema, das von den USA getrieben wird und mit dem Aufschwung der Automobilindustrie in den 1960er-Jahren zu vergleichen ist. Die US-Digitalunternehmen sind die großen Krisengewinner der Pandemie.
„Unabhängig vom Präsidenten kämpfen die Vereinigten Staaten mit ihrer internationalen Position und ihrer Stellung zu Europa, von dem sie sich militärisch und außenpolitisch betrogen fühlen. Das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und den USA muss neu definiert werden“, hält Ludwig fest.
Prantner sieht eine zunehmende Amerika-Feindlichkeit in Europa, die von Selbstherrlichkeit und -gerechtigkeit getrieben ist. Europa vergisst, dass es seine Sicherheit und seinen Wohlstand in der Nachkriegszeit den Vereinigten Staaten zu verdanken hat. Durch diese Entwicklungen sieht er die Rückkehr zu Handelsvereinbarungen wie einer Neuauflage von TTIP gefährdet. Der Brexit wirkt sich zudem negativ auf die Handelsbeziehungen aus, weil das traditionelle Bindeglied Europas zu den USA weggefallen ist.